Häufig bleiben Konflikte unbearbeitet und ungelöst, weil nicht alle beteilligten Konfliktparteien, sondern nur eine Konfliktpartei zu einer Mediation bereit ist. Erfahrungen zeigen, dass Mediation auch möglich ist, mit nur einer anwesenden Konfliktpartei. Dieses Vorgehen nennt sich Mediation mit Stellvertretung.
Die Phasen des Mediationsgesprächs werden vorgestellt. Diese Form der Mediation verlangt die Fähigkeiten sowohl sich selbst als auch der anwesenden Konfliktpartei Einfühlung zu geben.
In der Praxis hören wir immer wieder Sätze einer Streitpartei wie diesen: „Wissen Sie, ich bin ja zu einer Mediation bereit, aber mein Konfliktpartner würde sich nie an so etwas beteiligen!“ Wenn dann selbst die Kontaktaufnahme der Mediatorin mit der abwesenden Streitpartei keine Änderung in der Bereitschaft bewirkt, bedeutet das für viele Mediationschancen das Aus.
Wenn man sich mit diesem Ergebnis als Mediator nicht abfinden möchte, kann in geeigneten Fällen die Figur der Stellvertretermediation weiterhelfen.
Ausgangspunkt
Häufig fällte ein Satz wie „Ich würde gern zur Mediation kommen, aber mein Freund lehnt die Teilnahme ab!“ In solchen Fällen wird der zur Mediation bereite Part ermuntert, statt an einer Mediation an einem Rollenspiel teilzunehmen, in dem ein Repräsentant aus dem Mediatiorenteam die abwesende Konfliktpartei vertritt.
Im Vordergrund stand dabei die Überlegung, dass dies für die anwesende Partei einen Nutzen dadurch darstellt, indem sie sich bestimmter Muster und Konstellationen ihres Konflikts stärker bewusst machen kann.
Erstaunlicherweise haben diese Mediationen mit Stellvertretung häufig überraschende “Fernwirkungen” auf die abwesende Partei. Gespräche, die zuvor aussichtlos erschienen bekamen wieder eine Perspektive oder die abwesende Konfliktpartei ging bei einem nachfolgenden Zusammentreffen unerwartet auf die „mediierte“ Partei zu.
Diese Beobachtungen zusammen mit den Erfahrungen bei Einfühlung entsprechend der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg machen den Erfolg der Mediation mit Stellvertretung aus.
Was ist das Besondere an der Mediation mit Stellvertretung?
Man mag sich fragen, ob eine mediative Bearbeitung eines Konflikts, bei der eine wichtige Konfliktpartei nicht physisch anwesend ist, überhaupt möglich ist und noch Mediation genannt werden kann. Es ist jedoch durchaus üblich im Rahmen von Mediationen phasenweise nur mit einer Partei zu arbeiten beispielsweise im Rahmen von Einzelgesprächen oder bei der „Shuttle mediation“ bei der die Mediatorin abwechselnd mit den Konfliktparteien am Konflikt arbeitet.
Bei der Mediation mit Stellvertretung bietet ein aus mindestens zwei MediatorInnen bestehendes Mediationsteam der anwesenden Partei (nachfolgend auch P. genannt) an, dass eine/r der MediatorInnen die abwesende Partei (nachfolgend auch R genannt) repräsentiert, während die zweite MediatorIn den Mediationsprozess leitet. Dabei vollzieht der als Streitpartei agierende Mediator den Rollenwechsel zur Partei in Absprache mit der anwesenden Partei lediglich für eine bestimmte Phase der Mediation, der Konflikterhellung.
In dieser Phase lässt sich der repräsentierende Mediator (nachfolgend auch R. genannt) aber gerade nicht auf das gewohnte Feindbild der anwesenden Partei ein. Er versucht nicht, die abwesende Partei besonders „echt“ im Sinne der Feindbildwahrnehmung zu spielen. Vielmehr verkörpert er das konstruktive Potenzial der abwesenden Partei, indem er sich in der Parteirolle als fähig erweist, die Gefühle und Bedürfnisse der anwesenden Partei wahrzunehmen und auf diese einzugehen.
Statt auf Angriffe mit gespielten Gegenangriffen zu antworten, gibt er sich selbst für „seine eigenen“, d. h. die in der Rolle empfundenen Gefühle und Bedürfnisse, Einfühlung. Dies ist besonders gut möglich, wenn der repräsentierende Mediator in der gewaltfreien Kommunikation im Sinne M. Rosenbergs geübt und versiert ist.
Es ist dabei nicht nötig, dass der repräsentierende Mediator viel von der Konfliktgeschichte der Parteien erfährt. Im Gegenteil ist es oft hilfreich, dass er nur den Schlüsselsatz hört, auf den die anwesende Konfliktpartei in der Vergangenheit ihrerseits eskalierend reagiert hat. Die anwesende Partei beginnt die Phase der Konflikterhellung, in dem sie diesen Schlüsselsatz benennt und nun, den Repräsentanten als Konfliktpartei ansprechend, ihre eigene Reaktion darauf zum Ausdruck bringt. Der Repräsentant, der von der anwesenden Partei mit dem Namen der abwesenden Partei angesprochen wird, antwortet aus dem Empfängerhorizont der abwesenden Partei aber statt in die Verschärfung zu gehen, gibt er Einfühlung und vermutet die Bedürfnisse der anwesenden Partei, die bei ihr unerfüllt sind. Er gibt solange Einfühlung bis er die körperliche Entspannung wahrnimmt, die eintritt, sobald das zutreffende Bedürfnis benannt worden ist. Die Mediatorin sichert währenddessen den Rahmen des Gesprächs, und unterstützt den Repräsentanten in seinem Bestreben, mit der anwesenden Partei konstruktiven Kontakt angesichts des Konflikts aufzunehmen.
Nachdem klar ist welche Bedürfnisse der anwesenden Partei im Mangel sind, wenn deutlich ist, dass sie z. B. Nähe, Kontakt, Anerkennung, Wertschätzung, Klarheit oder was immer braucht, kann der Repräsentant eine gewisse Offenheit für die Gefühle und Bedürfnisse der abwesenden Partei erwarten, denn nun besteht Verbindung.
Als nächstes wird er fragen, ob die anwesende Partei (P) bereit ist zu hören, wie es ihm (R.) jetzt, nach dem er all das gehört hat, im Augenblick geht. Ist P bereit dies zu hören teilt R. mit, was ihn bewegt und berührt hat.
Danach fragt er P., ob sie auch wissen möchte, wie es ihm „damals“ also zur Zeit, als die von P. geschilderten Vorfälle stattfanden, ergangen ist. Nun spricht der R. diejenigen Bedürfnisse an, für die „er“ sich in der Vergangenheit durch sein Handeln im Konflikt einsetzen wollte oder tatsächlich eingesetzt hat. Er teilt auch „seinen“ Schmerz darüber mit, dass es ihm in der Vergangenheit nicht gelungen ist, die Bedürfnisse von P. wahrzunehmen oder bei seinem Handeln zu berücksichtigen. Obwohl R. wenig von der anderen Partei weiß, hat er jetzt so einen intensiven inneren Kontakt zum Konfliktfeld der Parteien, dass er die Gefühle und Bedürfnisse der abwesenden Partei einigermaßen treffsicher vermuten kann. Obwohl R in seiner Art sich zu äußern nicht den Feindbilderwartungen von A. entspricht, kann A. sich mit den von R. geäußerten Bedürfnissen der abwesenden Partei verbinden. Durch dieses Vorgehen kommt P. mit ihren eigenen Bedürfnissen im Konflikt in Berührung und gleichzeitig wird ihr deutlich und einfühlbar, was ihr abwesender Konfliktpartner braucht oder gebraucht hat. Wenn diese Klarheit besteht, kann R. aus seiner Repräsentantenrolle in die Mediatorenrolle zurück gehen. Nun erörtern die Mediatoren mit der anwesenden Partei Lösungsideen und nächste Schritte.
Die Mediation wird abgeschlossen durch eine Vereinbarung der anwesenden Konfliktpartei mit sich selbst, in der sie bestimmt, wie sie mit dem Konflikt künftig umgehen will. Zugleich wird ein Bilanzgespräch verabredet, indem die anwesende Partei Gelegenheit hat, über die weitere Entwicklung des Streits und ihre Kontakte zur abwesenden Konfliktpartei zu berichten. Für gewöhnlich verlässt die anwesende Konfliktpartei die Mediationssitzung mit großer Erleichterung, weil sie Klarheit über ihre eigenen Bedürfnisse bekommen hat, weil sie die Beweggründe der abwesenden Partei versteht und nun Bereitschaft spürt, mit diesem neuen, vertieften Verständnis auf die Konfliktpartei zuzugehen.