Konflikte entstehen über die Wahrnehmung und Bewertung.

Verändert sich die Wahrnehmung und Bewertung werden Konflikte transformiert

Das Leben ist ein Prozess der Entwicklung und damit der Veränderung. Das, was uns vertraut ist, vermittelt und ein Gefühl der Sicherheit. Veränderung ist mit Unsicherheit, Unsicherheit ist mit Angst verbunden. Das, was mit Angst verbunden ist versuchen wir zu meiden oder abzuwehren. Konflikte bedeuten Veränderung, denn das innere Bild von uns und der Welt stimmt nicht mit der wahrgenommenen Welt überein. Es besteht ein Widerspruch. Um uns zu entwickeln und um in Wohlbefinden zu überleben, müssen wir die Harmonie wieder herstellen. Systeme entwickeln sich eigendynamisch durch Rückkopplung. Der Mensch, das menschliche Gehirn entwickelt sich durch den Austausch mit seiner Umwelt über seine Sinne. Hierzu erstellt er ein inneres Bild darüber, wie er und die Welt sein sollte und dieses wird ständig abgeglichen. Ein Widerspruch stellt zunächst eine Bedrohung des Selbstbildes dar.

Um zu überleben ist es besonders wichtig alles als Bedrohung abzuspeichern, was uns in der Vergangenheit gefährdet hat. Damit unsere Sinne derartige Situationen wahrnehmen, bevor wir verletzt werden, wird der Kontext hierzu abgespeichert und mit der Reaktion verknüpft, welche damals hilfreich war, um künftig automatisch sofort reagieren zu können. Dies nennt man Furchtkonditionierung und diese entsteht und funktioniert unbewusst. Nehmen nun unsere Sinnesorgane etwas wahr, was an eine bedrohliche vergangene Situation erinnert, so entsteht die Emotion Furcht. Ein beobachtetes Verhalten, ein Geräusch, ein bestimmter Geruch, ein bestimmtes Bild, eine bestimmte Körperhaltung, die Art und Weise, wie etwas ausgedrückt wird, jede Komponente eines ehemals gefährlichen Kontextes kann „wiedererkannt“ werden. Über die Amygdala, der unbewussten Emotionszentrale im Gehirn, wird sofort automatisch die Notfallreaktionen über den Körper ausgelöst. Erst wenn die Körperreaktion über das Gehirn zurückgemeldet wird, wird das Gefühl der Angst wahrgenommen. Dieses Gefühl der Angst aktiviert nun alle abgespeicherten Erinnerungen aus der Vergangenheit, die einem ähnlichen Kontext entsprechen, um dem Gehirn das ganze angesammelte Wissen zur Verfügung zu stellen. Jedoch treiben sich die Gefühle und die Gedanken gegenseitig an. Desto bedrohlicher die Bewertung der Situation, desto größer die Gefahr, desto mehr verliert das logische Denken die Möglichkeit, als Berater auf das zur Verfügung gestellte Wissen zuzugreifen und in die automatische Reaktionen bewusst einzugreifen. Wenn es um das Überleben geht, dann bleiben nicht die Zeit und die Energie für kreatives Denken.

Wurde gelernt, dass Wut/Aggression ein gutes Verteidigungsmittel ist, so überlagert die Wut die Angst. Früher konnte der Mensch alleine nicht überleben. Für ihn waren funktionierende Beziehungen zu anderen Menschen überlebenswichtig. Aus diesem Grunde fühlen sich soziale Konflikte so bedrohlich an. Das menschliche Gehirn unterscheidet nicht zwischen körperlichen Schmerz und emotionalen Schmerz. Da für den Menschen Zugehörigkeit und Akzeptanz lebensnotwendig ist, wird Demütigung, Ausgrenzung, Verweigerung des persönlichen Respekts, soziale Zurückweisung wie körperlicher Schmerz erlebt. Die „Schmerzgrenze“ eines jeden Menschen ist individuell verschieden, je nach traumatischer biografischer Erfahrung, Sie löst bei Verletzung Wut/Aggession aus. Diese Wut/Aggression soll zum einen signalisieren, dass derjenige nicht bereit ist, den ihm zugefügten Schmerz zu akzeptieren und zum anderen die notwendige Handlungsenergie zur Verfügung stellen, um für sich einzutreten. Kann sich die Aggression nicht konstruktiv verbal ausdrücken, kommt es zur körperlichen Gewalt.

Willkürlich zugeführter Schmerz (Ausgrenzung, Unfairness, Demütigung) ist der Auslöser für Wut/Aggession. Zunächst wird über das Angstzentrum, die Amygdala, die Stressreaktion ausgelöst, die den Menschen in Bereitschaft versetzt. Bei Überschreiten der „Schmerzgrenze“ wird die Insula (die Ekelzentren) sowie der präfrontale Cortex informiert, der die abgespeicherten Information zu den Folgen eines möglichen Verhaltens abwägt (wie fühlt sich unser Verhalten aus der Sicht des anderen an?) Da für unser Überleben die Gemeinschaft, eine gute Beziehung, lebenswichtig ist, ist dieses Abwägen unseres Verhaltens die einzige Möglichkeit, um die Wut zu bändigen. Die Ausprägung unserer abgespeicherten Informationen ist entscheidend von unserer Erziehung abhängig. Haben wir gelernt, die Wut zu unterdrücken, statt zu transformieren, so wird sie sich zeitlich und/oder kontextabhängig verschieben. Dies bedeutet, dass entweder bei einer ähnlichen Situation zu einem anderen Zeitpunkt, diese Wut hinzukommt oder dass zu einem anderen Zeitpunkt und in einer anderen Situation die Wut „rausgelassen“ wird. Denjenigen, der die Wut abbekommt, trifft es dann unvermutet. Da zum einen ca. bis zu 80 % der Einstellungen bis zum 5ten Lebensjahr geprägt werden und bis zu 95 % der Informationen unbewusst aufgenommen werden, ist uns das, was unsere Gefühle, Denken und unser Handeln dem Grund nach bestimmen nicht bewusst direkt zugänglich. So interpretiert und legitimiert unser bewusstes Denken die eigenen unbewussten Reaktionen, auch wenn es die eigentlichen Gründe nicht kennt. Wir finden eine „logische“ Erklärung und Rechtfertigung für unser Handeln, indem wir das Handeln des anderen entsprechend interpretieren und gegenläufiges Wissen ignorieren, um vor uns selbst zu bestehen, unser Selbstbild zu schützen. Aus diesem Grunde ist es so wichtig, einen Schritt zurückzutreten, den automatischen Teufelskreis der Emotionen, Gefühle, Gedanken, Reaktionen zu unterbrechen, um eine bewusste Entscheidung treffen zu können, wie wir aktuell in dieser Situation bewusst handeln wollen.

Die Furchtkonditionierung aktiviert automatisch das Angst- und Stresssystem und lässt uns entsprechend reagieren. Nur eines kann die Fuchtkonditionierung nicht: Erkennen, dass heute der Kontext ein anderer ist, als damals. Damals, als wir hilflos und ohnmächtig und verzweifelt waren. Als unsere Wünsche und Hoffnungen keine Berücksichtigung fanden. Als wir noch so mutig sein konnten, uns jedoch in unserer Abhängigkeit keine Wahl blieb. Damals wurden wir von unserer Umwelt geprägt und wir haben gelernt, vorrangig das wahrzunehmen, was uns erfahrungsgemäß gefährlich werden könnte, noch bevor es uns nochmals so verletzten kann.

Entscheidend ist nicht, was der Sender gesagt hat, entscheidend ist, was bei dem Empfänger ausgelöst wird. Unser unbewusstes, emotionales Gehirn nimmt alle Signale aus der Umwelt wahr, welche an gefährliche Situationen erinnern, um rechtzeitig in Deckung zu gehen, zu fliehen, sich zu verteidigen. Oftmals hat jedoch das, was der Sender kommunizieren wollte, nichts mit dem zu tun, was der Empfänger verstanden hat. Eine Beziehung entsteht nicht darüber, indem wir einander erklären, was ein Tisch und was ein Stuhl ist, sondern darüber indem wir versuchen, den anderen Einblick in unsere Welt, in unser so-geworden-Sein und daher so-zu-empfinden zu geben. Dafür gibt es keine passenden Worte. Deshalb versuchen wir mit Metaphern und mit Bildern unser Selbst sichtbar zu machen. Denn unser emotionales Gehirn, in dem das Sprachzentrum nicht vorhanden ist und das sich entwickelte, lange bevor sich die Sprache entwickelte, kann man mit bedeutungsleeren Worten nicht erreichen. Die Bedeutung des Wortes gibt der Empfänger. Daher muss der Sender seine Bedeutung mitgeben, indem er für den Empfänger verbal und nonverbal Bilder malt, um den eigentlichen Inhalt zu vermitteln. Diese Bilder werden dann von dem Empfänger aufgrund seines eigenen Erlebens nachempfunden. Erleben können wir über unsere Gefühle, die sich in der nonverbalen Kommunikation: Mimik, Gestik, Tonlage, der Stimme, dem Raumverhalten etc. ausdrücken. All das, wird zwischen den Worten, zusammen mit den Worten und ohne Worte transportiert und auch unbewusst von dem Empfänger in seinem emotionalen Gehirn entschlüsselt. Der Inhalt der nonverbalen Kommunikation zählt fünf Mal soviel wie der Inhalt der verbalen Kommunikation. Stimmen die beiden nicht überein, wirken wir nicht glaubwürdig, nicht vertrauenswürdig, sind Konflikte vorprogrammiert.

Wir können uns noch so oft sagen, das es keinen Grund gibt, Angst zu haben, sich aufzuregen. Dies mag logisch noch so gut begründet sein – ändert aber nichts an unseren Gefühlen. Wir unterscheiden uns darin, wie wir was erleben, aufgrund unserer individuellen Lebensgeschichte. Wir können den anderen nicht wirklich verstehen, da keiner identisch das erlebt hat, was der andere erlebt hat. Wir können nur versuchen, das nachzuempfinden, was der andere erlebt hat, nachempfinden, wie er sich fühlt, um mit ihn in Beziehung zu treten, ihn besser zu verstehen. Doch je weiter die beiden Lebensgeschichten auseinanderliegen, desto weniger ist es uns möglich. Wir können nichts nachempfinden, was wir selbst noch nie empfunden haben. Wir könnten jedoch akzeptieren, dass der andere seine guten Gründe haben wird. Eigentlich können wir den anderen nicht für sein Verhalten verurteilen. Und trotzdem tun wir es, auch wenn die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß sein dürfte, dass wir uns an seiner Stelle, mit seiner Lebensgeschichte, ebenso verhalten würden. Selbstvorwürfe und Schuldzuweisungen waren noch nie besonders hilfreich, jedoch bewahren sie davor, etwas zu verändern. Wir können das Verhalten des anderen nicht direkt verändern. Wir können aber Einfluss nehmen auf die Beziehung, denn diese wird von uns beiden bestimmt. Die Quantentheorie betont den dynamischen Zusammenhang aller Dinge, dass durch die Beziehung alles miteinander verbunden ist und damit alles einander beeinflusst. Verändern wir uns, hat dies Auswirkungen auf die Beziehung und damit auf unsere Umwelt, ebenso wie umgekehrt. Doch dazu müssten wir die Beziehung zu uns selbst und zu den anderen bewusst wahrnehmen, statt automatisch unbewusst zu reagieren und dem Gefühls- und Gedankenchaos freien Lauf zu lassen, wenn es um Konflikte geht.

Die Bewertung, ob ein Widerspruch für uns ein Konflikt ist, geschieht durch unsere Emotionen. Ebenso, wie unsere Emotionen unsere Aufmerksamkeit auf das fokussieren, was für uns ein Konflikt ist, so dass wir nicht mehr den Menschen sehen, sondern nur sein Verhalten, das wir bereits aufgrund unserer persönlichen Erfahrung bewertet haben. Da aufgrund der Gefühle alle ähnlich abgespeicherten Situationen aktiviert werden, wird nun mit dem ganzen Handlungsrepertoire unserer Vergangenheit reagiert – was nicht unbedingt wirklich etwas mit dem tatsächlichen heutigen Geschehen zu tun haben muss. So kommt es zu unangemessenen Reaktionen, zu „Missverständnissen“. Da unsere Emotionen über den Körper unbewusst entstehen und unbewusst von dem anderen, von seinem emotionalen Gehirn, wahrgenommen und wiederum aufgrund der eigenen Erfahrungen interpretiert werden, reagiert er entsprechend. Das alles läuft unbewusst. Konflikte haben nichts mit einer Sache zu tun – wenn es so wäre, wäre dies schnell geklärt und es käme gar nicht zu einem Konflikt. Konflikte entstehen auf der Beziehungsebene und können daher nur über die Beziehungsebene angegangen werden. Dass wir die Welt aufgrund unserer individuellen Lebensgeschichte wahrnehmen, daran könnten wir nichts ändern. Dass wir unsere Wahrnehmung und Bewertung der Dinge und Situationen in der Gegenwart verändern und von unserer Vergangenheit unterscheiden, daran können wir sehr wohl arbeiten. Da wir über unsere Emotionen wahrnehmen und bewerten, müssen wir unsere Emotionen zu Dingen und Situationen verändern, um unsere Wahrnehmung und Bewertung und damit unsere Beziehung zu verändern.

Konflikte werden also als Bedrohung wahrgenommen und eine Veränderung löst ebenfalls Angst aus, da wir uns von unserer alten vertrauten Einstellung trennen müssen. Wir müssen unsere Wahrnehmung und Bewertung der Dinge erweitern, damit das neue „innere Bild“ beide Realitäten einschließen kann. Die alte Wahrnehmung und Beurteilung weicht einer neuen weiteren Wahrnehmung, die die alte mit einschließt.

Als erstes müssen wir die Angst akzeptieren. Sie ist ein Bestandteil unseres Lebens. Gleichzeitig ist auch die Veränderung, die Entwicklung ein Bestandteil des Lebens, denn Stillstand bedeutet den Tod. Nur was sich verändert, lebt. Leben bedeutet Entwicklung, Entwicklung bedeutet Veränderung. Leben ist Veränderung. Wenn wir die Angst akzeptieren, dann kann auch der Teil gesehen werden, der eine Veränderung möchte. Es kann das Bedürfnis gesehen werden, das hinter der Angst steht, die eigenen Wünsche. Sich selbst anzunehmen ist die Voraussetzung einer Veränderung. Einfach nur zu sehen, zu hören, zu fühlen was ist. Damit fängt man bei sich selbst an, indem man in sich selbst hineinhört. Um eine bewusste Veränderung zu schaffen, um bewusst handeln zu können, statt sich in einem Konflikt seinen Gefühlen und deren unbewussten „Überlebensreaktionen“ zu überlassen, muss man sich erst bewusst selbst wahrnehmen. Wahrnehmen mit allen Sinnen. Unsere Wünsche und Bedürfnisse wahrnehmen. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum zu sehen, zu hören, zu fühlen und zu denken, was man wirklich will. Wohlbefinden hat nichts mit Akzeptieren von wahrgenommenen Differenzen zu tun, sondern damit, dass man mit sich selbst und mit seiner Umwelt in Harmonie leben möchte. Dazu muss man sich mit sich selbst verbunden fühlen. Zuvor muss man bei einem Konflikt zunächst Kontakt zu sich selbst aufnehmen, um festzustellen, was man braucht, um eine Veränderung zuzulassen.

Man muss wissen, wo man sich befindet, bevor man herausfinden kann, wohin man gehen will. Viele können sagen, was sie nicht wollen. Das scheint nicht die Schwierigkeit zu sein. Das ist aber nicht entscheidend. In einem Konflikt muss man wissen, was man stattdessen will, man muss wissen, wo man hinwill, um etwas anzustreben. Und man muss wissen, weshalb man etwas möchte, um es nachvollziehen zu können und für den anderen nachvollziehbar zu machen. Sonst ist es schwer zu vermitteln und dafür einzustehen.

Ein Konflikt bedeutet, dass ein Widerspruch besteht, der nicht unbewusst mit bekannten Reaktionen gelöst werden kann, sondern dass jetzt das bewusste Denken hinzukommen muss. Ein Widerspruch, bei dem zwei entgegengesetzte Positionen aufeinandertreffen erzeugt Spannung und solange keine Entscheidung getroffen wird, wie aus beiden etwas Neues entstehen kann, hängt man im Widerstand fest. Dieser Widerstand entsteht auch, wenn man einerseits Angst vor einer Veränderung hat und andererseits eine Veränderung/Weiterentwicklung will.

Lebewesen sind Systeme und sind selbst Teil eines Systems, das mit seiner Umwelt kommuniziert und von Anfang an auf Kooperation und Resonanz angewiesen ist. Denn soziale Resonanz wie z.B. zwischenmenschliche Zuwendung, Anerkennung, Wertschätzung und gemeinsames Lachen mobilisieren die „Wohlfühlbotenstoffe“ Dopamin, Oxytozin und körpereigene Opioide. Diese wirken positiv sowohl auf die Emotionszentren des Gehirns, als auch auf die emotionale Gesundheit und geben ein positives Gefühl zu sich selbst. Die Motivationssysteme und die Lebensfreude steuern uns und können daher als unsere Triebe gesehen werden, die uns antreiben. Daher sind Vertrauen, Zusammenhalt, soziale Akzeptanz, Fairness, Kooperation die Ziele, die den Menschen antreiben. Das Motivationssystem wird somit durch andere Menschen, d.h. durch gute zwischenmenschliche Beziehungen aktiviert. Das Ausbleiben der Aktivierung oder eine Deaktivierung hat Auswirkungen auf das Stressystem. Aus diesem Grunde streben wir nach Harmonie, nach Überleben im Wohlgefühl. Der Angst vor Veränderung steht somit auch immer der innere Trieb nach Veränderung gegenüber, der die Harmonie wieder herstellen will. Daher ist es wichtig auch Verbindung zu dem Teil in sich aufzunehmen, der eine Perspektive sieht.

Doch das geht nur, wenn man zuvor dem Teil, der Angst hatte Verständnis und Respekt entgegenbringen konnte. Die Angst als wichtigen Lebensbestandteil der eigenen Persönlichkeit anzunehmen. Wichtig ist, zu lernen, auf sich selbst zu hören, um einen Veränderungsprozess folgen zu können, der Voraussetzung ist, um einen Konflikt zu überwinden.

Ein Konflikt birgt die Möglichkeit sich zu öffnen oder sich zu schützen. Um sich für eine Veränderung zu öffnen benötigt man ein Gefühl der Sicherheit, das erst aufkommen kann, wenn die Angst transformiert wurde. Hierzu muss zunächst der Auslöser gefunden werden. Nachdem man tief durchgeamtet hat, als ersten Schritt über die Atmung auf die automatischen Körperreaktionen eingreift, kann man in sich hineinhorchen, um festzustellen, wie man sich fühlt. Erst müssen wir uns unsere eigene Angst bewusst machen, bevor wir in der Lage sind, Mitgefühl mit den Ängsten des Konfliktpartners zu empfinden. Dazu muss man den Mut finden, der Angst entgegenzutreten. Die Angst ist in ihrer wertvollen Funktion zu würdigen. Sie will gesehen und gehört werden, denn sie hat ihren Sinn. Sie hängt mit Verletzungen aus der Vergangenheit zusammen und hat nicht unbedingt etwas mit der jetzigen Situation zu tun. Man muss lernen, alte Verletzungen von den gegenwärtigen zu trennen und neue Handlungsmöglichkeiten zu finden. Welche (alten) Gefühle motivieren das (alte) Verhalten? Mit diesen neuen Informationen ergeben sich neue Verhaltensalternativen. Der Auslöser ist wertfrei zu behandeln, die entstandenen Gefühle werden gewürdigt, man erfährt den Zusammenhang und es entsteht ein neues Verständnis für sich und das eigenen Verhalten. Es geht nie um das eigentliche Problem, sondern um die Art und Weise, wie wir es wahrnehmen, bewerten und uns verhalten.

Man kann ein Verhalten nur verändern, indem man es trainiert. Ebenso, wie man Klavier spielen kann, nicht indem man daran denkt, sondern indem man erlebt, wie es sich anfühlt, zu spielen. So entsteht Kreativität. Neue Gedanken können durchgespielt werden, neue Erfahrungen können gemacht werden. Nicht nur das Denken wird klarer, da man wieder Zugang zu seinem bewussten Denken erhält, sondern der Mensch kann auch besser wahrnehmen und wieder mitfühlen. Die Angst reduziert die Tätigkeit unserer Spiegelneuronen, die dafür zuständig sind, dass wir etwas nachempfinden können. Haben wir wieder Zugriff auf unser logisches Denken, haben wir auch wieder die Fähigkeit zur Empathie. Damit kann dann auch die unterbrochene Verbindung zu unserem Gegenüber wieder aufgenommen werden. Die Harmonie und das Wohlbefinden des Menschen mit sich und der Umwelt wird gesteigert.

Durch die Kommunikation mit der Angst, durch die Kommunikation mit den eigenen Sinnen und mit sich selbst, kann die eigene Identität auf der Grundlage der eigenen Regeln und Gesetzen in Verbindung mit der Umwelt entstehen, statt sich an den äußeren Regeln und Gesetzen zu orientieren. Durch die Verbindung zu dem eigenen Selbst mit allen Sinnen, erhalten unsere Handlungen und Entscheidungen Authentizität. So können wir uns weiterentwickeln, unser Wissen und unsere Welt erweitern, immer klarer sehen, wobei wir uns selbst treu bleiben. Dies ist ein ständiger Veränderungsprozess, wobei gleichzeitig die innere Stabilität aufrechterhalten wird. Selbstvertrauen und Identität kommen von innen, wer sich selber treu bleibt, ist authentisch.

Wenn wir nun die Angst in einem Konflikt bewusst wahrnehmen bzw. bereits die Wut empfinden, dann ist es wichtig, eine Metaposition einzunehmen. Wenn man sich mitten in der Angst-/Wutspirale befindet, ist es schwierig, sich in dieser Position selbst zu reflektieren. Um sich selbst aus einer Metaposition zu betrachten, muss man erst einmal aus seinem Gefühls-/Gedanken-Teufelskreis heraustreten. Da sich keine Emotion ohne die entsprechende Körperhaltung aufrecht erhalten kann, ist es wichtig, zunächst eine andere Körperhaltung einzunehmen. Dies erreicht man, wenn man sich auf die eigene Herzgegend konzentriert, tief ein und ausatmet und sich vorstellt z.B. wie die Beziehung war, bevor der Konflikt sich anbahnte und sich an die guten Momente erinnert; sich vorstellt, wie es sich anfühlt, wenn dieser Konflikt transformiert ist; sich daran erinnert, dass man nicht allein ist, sondern Menschen hat, die einem zur Seite stehen etc. Es ist bereits wissenschaftlich belegt, dass allein die Aufmerksamkeit weg von dem Gegenüber auf sich selbst zu richten, die Amygdala und damit die Körperreaktionen beruhigt. Der Körper entspannt sich, richtet sich wieder auf, öffnet sich. Hilfreich ist auch, wenn man sich selbst, bzw. die eigene unverhältnismäßige spontane Reaktion mit Humor betrachten kann, z.B. „am liebste hättest Du dem armen Kerl den Kopf runtergerissen, dabei hat er/sie doch nur…“ Die Veränderung der Körperhaltung, der Körperreaktionen und der Emotionen, zeigen sehr deutlich, wann man in der Lage ist, sich aus einer Metaposition zu betrachten. Dann kann man auch die eigene Wut, die Trauer, die Angst ansehen. Und wenn man genau hinsieht, dann kann man auch die Wut/Angst des kleinen Mädchens, des kleinen Jungen von damals erkennen. Doch damals ist nicht heute. Heute hätten wir andere Handlungsmöglichkeiten als damals, um das zu erreichen, was wir brauchen. Wenn wir damals unser Wissen und unsere Möglichkeiten von heute gehabt hätten, was hätten wir getan? Wie hätte sich das angefühlt? Indem es sich unser Gehirn vorstellt, werden unsere Ressourcen aktiviert und neue Handlungsmöglichkeiten offenbaren sich. Wir haben immer noch die Möglichkeit, so zu handeln wie damals oder so zu handeln, wie wir es uns jetzt vorstellen können. Wir haben den ersten Schritt getan, um unsere zukünftige Wahrnehmung und Bewertung und damit unsere Reaktionsmöglichkeiten zu erweitern und damit zu verändern.

Das haben wir Menschen gemein: der Lebensprozess besteht aus Veränderungen und aus der Angst vor Veränderungen. Angst entsteht aus Unsicherheit. Angst verursacht Stress. Dauerhafter Stress führt zu Burnout. Der Mensch hat alles, was er braucht, um seinen Weg zu finden, seinen Prozess zu gestalten. Am Anfang steht immer die lähmende Angst und am Ende steht die Lebendigkeit. Desto häufiger wir einen Veränderungsprozess durchlaufen desto häufiger werden wir die Erfahrung machen, wie die Furcht sich in freudige kreative Lebendigkeit verwandelt. Wir betreten jedes Mal Neuland. Jedoch brauchen wir den inneren Signalen, welche uns vor der Angst schützen wollen, nicht länger blind zu folgen. Durch den besseren Kontakt zu sich selbst, dem Gefühl der Verbundenheit, das das eigene Wachsen begleitet und die eigene Einzigartigkeit ausdrücken lässt. Wir sind nicht mehr unserer Angst und dem von ihr ausgelösten Schutzverhalten ausgeliefert, sondern wir nehmen mit allen Sinnen uns und unsere Umwelt wahr. Wir begegnen uns und den anderen Menschen  – immer wieder neu. (Andrea Keisel, 08/2011)

Alle Veränderung erzeugt Angst. Und die bekämpft man am besten, indem man das Wissen verbessert. – Ihno Schneevoigt

Wie nahe Furcht und Mut zusammenwohnen, das weiß vielleicht am besten, wer sich dem Feind entgegenwirft. – Christian Morgenstern (1871 – 1914), dt. Schriftsteller

Je nachdem, wie mutig ein Mensch ist, expandiert oder schrumpft sein Leben. – Anais Nin


Burnout-Vorbeugung